Wenn Neugeborene ein nicht eindeutig zuordenbares physisches Geschlecht aufweisen, so ist erst einmal Zurückhaltung geboten. Die weiteren (ggf. medizinischen) Schritte sind wohl zu überlegen. Eine aktuelle Stellungnahme der Bioethikkommission des Bundeskanzleramts bringt Handlungsempfehlungen für diesen sensiblen Bereich. Eine Zusammenfassung:

  1. Bei uneindeutiger Ausprägung des physischen Geschlechts muss der / die einwilligungsfähige Betroffene selbst entscheiden, ob eine geschlechtszuordnende Maßnahme gewünscht ist. Aus diesem Grund sind geschlechtszuordnende Maßnahmen im Neugeborenen- oder Kindesalter grundsätzlich zu unterlassen und muss die betroffene Person mindestens selbst einwilligungsfähig sein, was bei Vollendung des 14. Lebensjahrs vermutet wird (§ 173 Abs. 1 ABGB). Da die Behandlung potenziell mit einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Persönlichkeit verbunden ist, muss bei Betroffenen vor Vollendung des 18. Lebensjahrs auch die obsorgeberechtigte Person zustimmen (§ 173 Abs. 2 ABGB).

  2. Geschlechtszuordnende Maßnahmen im Neugeborenen- oder Kindesalter sind bei Vorliegen einer medizinischen Indikation gerechtfertigt. Eine solche liegt etwa vor, wenn Maßnahmen zur Behebung von Funktionsstörungen (Beispiel: urogenitale Missbildung führt zu Schwierigkeiten beim Wasserlassen) oder zur Abwendung gesundheitlicher Schäden oder gar zur Lebensrettung erforderlich sind und die obsorgeberechtigte Person eingewilligt hat, wobei deren Einwilligung gegebenenfalls vom Gericht zu ersetzen ist. Bloße Angst der Familien vor Stigmatisierung stellt keine hinreichende medizinische Indikation für einen Eingriff im Neugeborenen- oder Kindesalter dar, jedoch vermag die fundierte Prognose depressiver Störungen des Kindes und anderer seelischer Beeinträchtigungen mit Krankheitswert nach allgemeinen Grundsätzen eine medizinische Indikation zu begründen.

  3. Auch in Fällen einer medizinischen Indikation ist jedoch – wenn immer möglich – reversiblen Eingriffen der Vorzug vor irreversiblen Eingriffen zu geben. Erhöhte Aufmerksamkeit ist auf mögliche Maßnahmen zur Erhaltung der Fertilität zu legen, etwa durch Konservierung von entnommenem Gonadalgewebe.

  4. Ein ohne medizinische Indikation vorgenommener medizinischer Eingriff ist als rechtswidrige Körperverletzung zu qualifizieren und verpflichtet – bei entsprechendem Verschulden – ärztliches Personal sowie auch die Eltern zum Schadenersatz.

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Zudem wurde kürzlich im Rahmen einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) klargestellt, dass intergeschlechtlichen Menschen, deren biologisches Geschlecht also nicht eindeutig „männlich“ oder „weiblich“ ist, ein Recht auf eine ihrer Geschlechtlichkeit entsprechende Eintragung im Personenstandsregister oder in Urkunden haben. Demnach muss bei der Geburt künfig nicht mehr „männlich“ oder „weiblich“ im Personenstandsregister eingetragen werden. Der VfGH stellt Bezeichnungen wie „divers“, „inter“ oder „offen“, die auch von der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt vorgeschlagen werden, für eine künftige Verwendung in den Raum.

Quelle/weitere Info:
Bioethikkommission des Bundeskanzleramts (Link)
Verfassungsgerichtshof (Link) – Entscheidung zum Personenstandsgesetz VfGH 29.06.2018, G 77/2018; Link)
Verein intergeschlechtlicher Menschen Österreich (Link)


01.12.2019